Kleine Frau mit großem Gepäck: Kontrabassistin Lindy Huppertsberg erzählt Anekdoten aus ihrem 45jährigen Musiker:innenleben

Sie ist die Grande Dame des Jazz in Deutschland. Lindy Huppertsberg hat einiges in ihrer Musikerlaufbahn als Kontrabassistin erlebt. Nun konnten die Besucher im Guntersblumer Rathauskeller der Premiere ihrer Konzertlesung „Lined with a groove – Episoden aus dem Leben einer Jazzbassistin“ beiwohnen. Begleitet wurde sie dabei von einem ganz speziellen Jazztrio, sozusagen einer Herzensangelegenheit. Thilo Wagner ist ihr Langzeit-Lieblingspianist, über viele Jahre in verschiedenen Jazzensembles miteinander verbunden. Und mit dem brasilianischen Energiebündel Angela Frontera aus Sao Paolo am Schlagzeug hat sie wild chaotische Tourneen mit schlaflosen Nächten durchlitten. Kein Wunder: Die Frau spielte einst mit Paul Simon und in späteren Jahren mit Nina Hagen.

Die Eröffnung mit dem Blues „Lined with a groove“ ist Lindy Huppertsbergs Verbeugung vor ihrem Mentor und Lehrmeister Ray Brown. Selbst in Amerika waren Kontrabassistinnen abgesehen von der New Orleans Oldtime Jazz Bassistin Annie Hawkins in den siebziger Jahren Mangelware. Wohl deshalb nannte Ray Brown Lindy gerne „Lady Bass“, was ihr Markenzeichen werden sollte. Erst ab den neunziger Jahren kamen in Deutschland selbstbewusste Jazzbassistinnen wie Ulla Oster, Eva Kruse oder Athina Kontou als Bandleaderinnen zum Zug. Der Weg zum Bass war bei Lindy Huppertsberg eher zufällig. Als sie 1979 den Barrelhouse Pianisten Agi Huppertsberg heiratete, wurde sie Roadie der Barrelhouse Jazzband. Sie wurde Mädchen für Alles und konnte sich ein Bild von den Instrumentalisten machen. Weil der Bassist für einige Stücke zur Trompete wechseln musste, übte Lindy 3 Bassstücke ein, die sie bei Barrelhouse Konzerten spielen durfte. Sie fing Feuer, studierte in Mainz Musik und erhielt zusätzlichen Unterricht vom Solobassisten des Wiesbadener Staatstheaters. Nach 10 Jahren verlies Lindy 1989 die Barrelhouse Jazzband um eigene Bands auf die Beine zu stellen. Erst 2014 stieg sie erneut bei der Barrelhouse Jazzband ein, der sie bis heute angehört. Im Herbst 2023 geht sie mit den altgedienten Musikern 30 Tage auf Tournee um unglaubliche 70 Jahre Barrelhouse gebührend zu feiern.

Doch zurück zur Musik: Den von Peggy Lee bekannt gemachten George und Ira Gershwin Klassiker „Why don´t you do right“ spielt Lindy als langsamen Bluesshuffle mit beherzter Gesangseinlage, bei der sie eine gute Figur macht. Es ist gar nicht so nicht einfach, den bittersüß lässigen Gesangsstil Peggy Lees zu treffen. Beim Bossa Nova „Madalena“ überlies sie den Gesang ihrer Schlagzeugerin Angela Frontera. Mit ihr und der Pianistin Anke Helfrich spielte sie zu Beginn des neuen Jahrtausends in der Frauenband „Witchcraft“, der ein Italien Konzert an Weihnachten 2006 fast aus dem Ruder geriet. Da Anke ihren Pass verlor und ihren Zug verpasste, musste ein Festivalauftritt von der Eröffnung an den Schluss verschoben werden und die Band musste die Reise nach Italien auf eigene Faust mit dem Zug antreten. Die Pleiten, Pech und Pannen aufzuzählen würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.

„You are my sunshine“ ist in den Händen von Wagner, Frontera und Huppertsberg ein Haken schlagender wandlungsfähiger Oldie mit melodisch singendem Bass. Mit „Charlie Antolini & the Jazz Ladies“ ging´s in den Achtzigern nach Ägypten und Südamerika. Dabei machten sie eine Riverboatshuffle auf dem Titikakasee und in Lima spielten sie für die Lufthansa. Selbst auf einer Verkehrsinsel in Birmingham wurde live musiziert. Konzertkritiken dieser Zeit waren oft mit „Drei Engel für Charlie“ überschrieben.

1987 hieß die nächste Station „Lady bass & the real gone guys“ mit ihrem zweiten Ehemann Ron Ringwood. Aus dieser Zeit spielten sie die sogenannte Spinatoper „I didn´t like it the first time“ als zündenden Boogie, der fast schon wie ein früher Rock´n´Roll daherkam. Ein ZDF Mitschnitt von „Alright, ok, you win“ zeigt, dass bei Lindy Huppertsberg auch der weibliche Niedlichkeits- und Exotenbonus zum Tragen kam. Aus der Chuzpe von damals entstand das Charisma von heute. Das kam 1998 schon dem amerikanischen „Swinging Ladies“ Sextett zugute, das als erstes weibliches Bebop-, Swing- und Latin-Jazz Ensemble an Amerikas Ostküste Furore machte. Eine ZDF Einspielung von Duke Ellingtons „Caravan“ auf der Jazzwoche Burghausen 1995 zeigt den hohen musikalischen Standard der Band.

Der „Big Maybelle“ Hit „One monkey don´t stop the show“ von 1955 gehört als Talking Blues zum „Witchcraft“ Repertoire wie auch der von Angela Frontera komponierte Samba „Brasileira“, der sich mit ihren lautmalerischen portugiesischen Vokalisen zum Ohrwurm entwickelt. Mit ihrem vierten Ehemann Johannes Schädlich, selbst ein renommierter Jazzbassist, und ihrem 250 Jahre alten restaurierten Kontrabass blickt die die 66jährige gelassen in die Zukunft, denn beide sind immer dort unterwegs, wo es guten Jazz gibt. Wie sich Wagner, Frontera und Huppertsberg im abschließenden „Everything happens to me“ von Billie Holiday die Bälle zuwerfen, ist einzigartig. Huppertsberg schert sich nicht um Dogmen und die reine Lehre im Jazz. „Stile und Spielweisen zu mischen macht mir keine Angst.“