Erstmals fand die diesjährige Barrelhouse Jazzgala an einem Donnerstagabend statt und weil die Ludwig-Eckes-Halle in Nieder-Olm nicht zur Verfügung stand, musste in den Großen Saal des king-Kultur-und Kongresszentrums Ingelheim ausgewichen werden. Und so fand die diesjährige Gala, die unter dem Motto „New Orleans meets Harlem“ stand, am 13. Oktober 2022 als Gemeinschafts-veranstaltung von kIng Ingelheim und Jazzclub Rheinhessen statt.
Es ist erstaunlich, mit welcher Intensität die Frontline um Klarinettist und Altsaxofonist Reimer von Essen, immerhin bereits 81-jährig und bereits seit 1962 Leiter der 1953 gegründeten Barrelhouse Jazzband ist, ihre Instrumente beherrscht. Seine Mitmusiker Horst Schwarz an Trompete und Posaune sowie Frank Selten an den Saxofonen sind sogar schon 83 Jahre alt. Und die herbstliche Jazzgala mit zahlreichen Stargästen aus der großen Welt des Jazz gibt es auch schon seit 40 Jahren. Zu verdanken ist das dem Promoter Dieter Nentwig, der immer wieder Geldquellen auftut, um die internationalen Spitzensolisten zu bezahlen. Er nutzt Mehreinnahmen der großen Alte Oper Konzerte in Frankfurt um kleinere Events wie das in Ingelheim vom Jazz Club Rheinhessen zu subventionieren. Das war in diesem Jahr trotz Corona mit nahezu 400 Besuchern ordentlich besucht. Und mit fast 3 Stunden Spielzeit lies es beim mit der Band gealterten begeisterten Publikum keine Wünsche offen.
Leider konnte Gastsaxofonist Jesse Jones aus Krankheitsgründen nicht anreisen. Seinen Part übernahm Peter Weniger, der durch WDR-/NDR-/HR-Bigbands und Paul Kuhn bekannt wurde. Die weiteren Gastsolisten waren der amerikanische Posaunist Joe Gallardo (Stan Kenton, Sammy Davis jr.) mit einer über 60 Jahre andauernden Karriere, der mehrfach mit dem British Jazz Award ausgezeichnete Trompeter und Flügelhornist Bruce Adams und als Sahnehäubchen der farbige Jazz- und Gospelsänger Stanley Breckenridge, der sich selbst am Piano begleitete. Die legten zwar erst nach der Pause los, aber wie!
In der ersten Hälfte gab es die Barrelhouse Jazzband pur. Zu den Bläsern gesellten sich wie üblich „Lady Bass“ Lindy Huppertsberg, der überragende Pianist Christof Sänger, Gitarrist und Banjo Spieler Roman Klöcker und Drummer Michael Ehret. Das diesjährige Programm stand unter dem Motto „New Orleans meets Harlem“ womit der Brückenschlag vom frühesten Jazz zum Swing gemeint ist. Auch Promoter Dieter Nentwig meldete sich mit interessanten Hintergrundinformationen und sympathischer Moderation mehrfach zu Wort. Die Eröffnung mit der Eigenkomposition „Take us to the Mardi Gras“ von Horst Schwarz kommt nicht von ungefähr, ist der Song doch längst ein Blues- und Oldtime- Klassiker. Einem der ersten Ella Fitzgerald Hits „A tisket a tasket“ mit der Chick Webb Bigband aus den Dreißigern mit einer Gesangseinlage von Lindy Huppertsberg folgte das kreolische Volkslied „Moune A Ou Cè Moune A Ou“ aus Guadelupe als Cajun Vorläufer und Urform des Oldtime Jazz. Mezz Mezzrows „Blues for Fats“ gilt heute ebenso als Standard wie der in einem besonderen Arrangement als Salsa dargebotene Duke Ellington Klassiker „Caravan“ mit rhythmischen Extravaganzen, einem Schlagzeugsolo und herausragender Trompete.
Die zweite Hälfte stand ganz im Zeichen der Gäste, sei es die blues- und gospeldominierte Gesangseinlage von Stanley Breckenridge oder der humor- und respektvolle Schlagabtausch der Bläser. Trotz seines hohen Alters und einer gewissen Körperfülle ist Trompeter Bruce Adams eine Naturgewalt. Er scheint mehr Druck aufzubauen als seine Kollegen, den er heiß auftischt. Senior Joe Gallardo lässt es an seiner Posaune etwas ruhiger angehen, lässt aber als Stilist mit wundervollen Zwischentönen aufhorchen. Saxofonist Peter Weniger muss man nicht mehr vorstellen, so präsent ist der Routinier in der Szene. Auch wenn Stanley Breckenridge mittlerweile in Warschau lebt, so ist er der geborene New Orleans Shouter mit Blues und Gospelwurzeln. Seine an Nat King Cole erinnernde Stimme und sein Showtalent lässt an den Ratpack um Sinatra, Dean Martin und Sammy Davis denken. Neben den Bigband- und Swingstandards „Take the „A“ Train“, „It don´t mean a thing“ und „Ain´t misbehavin“ hatte er die Soulnummer „Stand by me“ und die Bluesballade „Do you know what it means to miss New Orleans“ im Köcher.
Bis zum Schluss bliesen sich Joe Gallardo, Bruce Adams und Peter Weniger höchst interessante Töne um die Ohren. Vom Swing zum Bebop geriet die Fahrt im „Dreamboat“. In „Move“ konnte sich Bruce Adams nach Lust und Laune austoben, während Jerome Kerns Ballade „Yesterday“ bestens zu Joe Gallardos lyrischer Posaune passte. Peter Weniger brillierte in „Blues in the closet“ mit einem starken Saxofon Solo. Nach dem Dixieland-Ohrwurm „I want to be happy“ von 1925 endete das dreistündige Konzert mit einer gemeinsamen Session aller Musiker und dem von Stanley Breckenridge am Klavier intonierten New Orleans Boogie Woogie Überflieger „Rebecca, Rebecca“.
Fred Balz