Jazzfrühschoppen am 5. August 2018 im Weingut Wagner, Essenheim

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Nach 2014 veranstalteten die Kultur- und Weinbotschafter zusammen mit dem Jazzclub Rheinhessen den jährlichen Jazzfrühschoppen bereits zum zweiten Mal im Weingut Wagner in Essenheim. Trotz großer Hitze strömten die Gäste in Scharen. Als um 11 Uhr das „St. Philip Street Quintet“ mit dem Jazz-Klassiker “When my dreamboat comes home“ loslegte, war der große Hof des Weinguts bereits proppenvoll. Obwohl außer dem fast kompletten Jazzclubvorstand nur 8 Jazzclubmitglieder gekommen waren, konnte Hausherr Dr. Andreas Wagner etwa 290 Gäste begrüßen – damit war es der bisher bestbesuchte Jazzfrühschoppen der Reihe.

Die St. Philip Street ist eine der stilleren Straßen des French Quarters in New Orleans. Sie ist dem Kenner des traditionellen Jazz vertraut, weil dort im Haus Nr. 827 der weltberühmte Klarinettist George Lewis lebte. In der Küche des Hauses wurde 1944 mit Bunk Johnsons Aufnahmen Jazzgeschichte geschrieben. Dies motivierte die Musiker um Jutta Klauer und Harald Blöcher ihr Quintett nach dieser berühmten Straße zu nennen. Durch den Ausfall des erkrankten Schlagzeugers Tom Schilp musste Jutta Klauer ihr Quintett umbilden. Pianist Dominik Dötsch wechselte zum Schlagzeug, während neben Jutta Klauer am Kontrabass Alex Friedrich die Rhythmusgruppe mit Banjo und Gitarre vervollständigte.

Harald Blöcher, der unter Kennern als bester deutscher Posaunist im New Orleans-Stil gilt und im Februar seinen 80. Geburtstag feiern konnte, spielt wie sein Vorbild Kid Ory den so genannten Tailgate-Stil. Hierbei wird ein Slide-Effekt, ein Glissando genantes Portamento (Hinüberschleifen von einem Ton zum anderen) angewendet. Er war auch der dominante Akteur des Ensembles: mit kraftvollem und sonorem Ton blies er Melodielinien, die Horst Aussenhof mit der Klarinette in den höheren Lagen verzierend umspielte.

Der 44-jährige Winzer und Historiker Dr. Andreas Wagner, der mit seinen beiden jüngeren Brüdern Uli und Christian und deren Familien das seit 300 Jahren bestehende Familien-Weingut Wagner in Essenheim betreibt, ist auch als Autor von mittlerweile fünf Kriminalromanen bekannt, die alle mit Wein zu tun haben und weiteren Sachbüchern. Kultur wird bei den Wagners großgeschrieben. Für die Verköstigung hatte das Weingut kleine leckere Gerichte vorbereitet: Gyrosbraten mit Couscous-Salat und Tzatziki, mariniertes Allerlei und Spundekäs mit Brezelchen standen auf der Karte sowie vorzügliche Weine und Sekte – mir hatte es der “2017er Prachtmädchen Scheurebe trocken“ angetan. Ansonsten wurde witterungsbedingt Wein- oder Traubensaft-Schorle bzw. Mineralwasser bevorzugt.

Außer an den Speisen und tollen Weinen konnte sich das Publikum an zahlreichen Klassikern des New Orleans-Jazz erfreuen. Höhepunkt im ersten Set war zweifellos die Darbietung des britischen Marschliedes „It’s a long way to Tipperary“. In humoristischer Weise behandelt es die Sehnsucht des typischen Iren („Paddy“), der sich als Gastarbeiter im Ausland nach seiner irischen Freundin („Molly“) sehnt. Als eines der Lieblingslieder der britischen Soldaten wurde es im Ersten Weltkrieg weltweit bekannt. In einer ausgedehnten Version konnten auch die Musiker/innen der Rhythmusgruppe in langen Soli ihr Können zeigen, während Harald Blöcher den Gesangspart übernahm. Im weiteren Verlauf steuerte auch Jutta Klauer in „Mood Indigo“ eine Gesangseinlage bei. Mit den beiden Gershwin-Klassikern „Oh! Lady be good“ und „Summertime“ endete die authentische Präsentation des alten Jazz aus New Orleans, für die das St. Philip Street Quintet reichlich Beifall erhielt.

So verging der dreistündige Jazzfrühschoppen wie im Flug. Noch zwei Bemerkungen am Rande: Jazzclubvorsitzender Karlheinz Belzer kann sich über zwei neue Jazzclubmitglieder freuen; ein Ehepaar aus Weinolsheim ist spontan beigetreten. Nach dem Frühschoppen wurde der Kofferraum eines toll gepflegten Oldtimers mit einigen Kisten Wein beladen; ein riesiger Rolls Royce mit Offenbacher Kennzeichen zog staunende Blicke auf sich.

Ludwig Lang