Stehend feiern die Jazz-Fans in der fast ausverkauften Ludwig-Eckes-Halle nach einem dreistündigen mitreißenden Konzert des Jazzclubs Rheinhessen die Barrelhouse Jazzband und ihre Gäste mit anhaltendem Applaus.
Plötzlich, mitten im Konzert, stockt dem Zuhörer der Atem. Ein so sensibles und melodisches, beseelt aufeinander abgestimmtes Ruf-Antwort-Spiel zwischen einer akustischen Gitarre und einem Piano wie dieses von Jan Luley und Roman Klöcker nötigt uneingeschränkte Bewunderung ab. „The Blues keep calling“ des unvergessenen Pianisten Art Hodes, das im späteren Verlauf mitreißend groovt, ragt selbst in dem musikalisch makellosen und technisch perfekten Konzert als emotional anrührendes Ereignis heraus.
Der Jazz und seine Interpreten reifen mit dem Alter. Sie kommen in die Jahre, aber altern nicht. James „Red“ Holloway, einer der Gäste der Barrelhouse aus den Staaten, hat im Mai sein 81. Lebensjahr vollendet, doch er bläst Alt- und Tenorsaxophon mit ungebrochener Kraft. In den Swing- und Bebop-Stücken überzeugt er mit agilen Wendungen, in der einfühlsamen Ballade „Cry me a river“ begleitet er, die „Queen of Soul“ Harriet Lewis einfühlsam mit einem voluminösen und zugleich lyrischen Ton, der stets eine Blues-Grundierung aufweist. Holloway wie auch sein gerade mal drei Jahre jüngere Kollege Gene „Mighty Flea“ Conners, entfachen in ihrem Spiel mit jugendlichem Temperament noch immer das Feuer des swingenden Jazz aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Conners bläst die Posaune mit schneller Präzision, improvisiert eigenwillig und schlägt die Zuhörer mit ausdrucksstarkem Gesang bei Armstrongs „What a wonderful world“ in seinen Bann. Ein Meister des gleißenden High-Note-Spiels ist der mit 50 Jahren noch relativ junge und zum modernen Bop neigende Trompeter Boney Fields, der sich dessen ungeachtet dank seiner Blues-Verwurzelung nahtlos in das Spiel der Väter-Generation einbinden lässt. Harriet Lewis, die 1995 vom Rock und Pop-Musiker-Verband zur besten Interpretin des Soul und Blues in Europa gewählt wurde, fasziniert auch beim Konzert des Jazzclubs Rheinhessen mit rauem Blues, romantischen Balladen und stets einer Prise Gospel. Beim Duo mit dem Pianisten Luley spannt ihre Stimme den Bogen vom kraftvollen Blues-Shouting bis zu lasziver Brüchigkeit.
In die Welt des stampfenden und treibenden Blues entführt der Schotte Mike Whellans als „One Man Blues-Band“ die begeisterten Zuhörer mit drivendem Spiel auf Bluesharp, Gitarre und Mini-Schlagzeug. Mit schier unglaublicher Vokal-Akrobatik reichert er das Mundharmonika-Spiel um ausgefeilte Perkussion an.
All dies ist eingebettet in die Arrangements der Barrelhouse-Jazzband und ihres ebenso sachkundig wie humorvoll moderierenden Leaders Reimer von Essen. Mit Feuer und Leidenschaft bereitet die bekannteste und zweifelsfrei kompetenteste Band des traditionellen Jazz die Kompositionen von Jelly Roll Mortons kreolisch beeinflussten „The Pearls“ mit den einander umspielenden Instrumenten des Saxophon-Lyrikers Frank Selten, des „stählernen“ Trompeters Horst Schwarz und des beseelten Klarinettisten Reiner von Essen bis zu Strayhorns majestästischem, geradeaus marschierenden „Take the A-Train“ auf zeitgemäße und zugleich zeitlose Weise auf. Die Rhythmusgruppe, in der neben Klöcker und Luley der Bassist Cliff Soden und Schlagzeuger Michael Ehret sitzen, besticht mit äußerst präzisem Timing.
Klaus Mümpfer